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Steterburg
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Steterburg

Am 1. April 1939 wird der Ort Steterburg in den Ort Thiede eingemeindet und der Name Steterburg auf den Landkarten nicht mehr gedruckt. Mit diesem Vorgehen kann man aber die über tausendjährige Geschichte dieses kleinen Dorfes und seines großen Stiftes nicht auslöschen.

Vor dem heutigen Steterburg gab es einen Ort Steder (Stedere), der etwa einen Kilometer westlich lag (etwa dort, wo das ehemalige Vereinsgelände des Sportvereins Rot-Weiß-Steterburg lag). Der Ort war älter als die Steterburg, die nach ihm benannt worden ist. Die Urkunden über diesen Ort reichen von 1007 bis 1543 (danach nach Steterburg einverleibt und wüst). Unterhalb von Steder wurde in den Jahren 924 bis 933 die Burg Stedieraburg oder Steterburg erbaut. Sie entstand an strategisch günstiger Lage auf einem in die Okerniederung hineinreichenden Sporn, auf Veranlassung König Heinrich I. im Rahmen seiner Burgenbaupolitik. Gleich in den ersten Jahren ihres Bestehens wurde die Wehrfähigkeit der Burg deutlich, als im Jahre 938 vor den Toren ein Trupp Ungarn besiegt wurde.

Um 1000 waren Burg und Dorf Steterburg im Besitz des Grafen Altmann von Oelsburg. Dieser bestimmte in seinem Testament, dass mit einem Drittel seiner Hinterlassenschaft ein Jungfrauenstift gegründet werden sollte. So erlebte diese Platz die Umwandlung von der reinen Verteidigungsanlage zu einem Nonnenkloster. Die Tochter des Grafen Altmann, Gräfin Frederunde und ihre Mutter Hathewig ließen neben der verfallenen Steterburg auf dem Gelände des Vorhofes ihr Stift errichten. Frederunda unterstellte ihre neuen Stiftsdamen den Bishöfen von Hildesheim und trat als erste Äbtissin in das Stift ein. Die Insassinnen des neu gegründeten Stifts lebten nicht in Klausur und gehörten auch keinem geistlichen Orden an. Privateigentum war erlaubt, die Damen besaßen eigene Wohnungen, Dienerschaft wurde gehalten. Lange Ferien waren üblich und die „Rückkehr in die Welt”, also Heirat, war freigestellt. Außerhalb des Stifts kleideten sich die Damen weltlich und trugen ihr Haar offen und gelockt, zum „Zeichen der Freiheit“.

Im 12. Jahrhundert wird das Kloster den Regeln des Augustinerinnenordens unterstellt. Danach gestaltete sich das Leben der Stiftsdamen klösterlich strenger. Der Privatbesitz wurde abgeschafft und die Klausur eingeführt. Die eigenen Räume wichen einem gemeinsamen Schlaf- und Speisesaal und der Äbtissin wurde ein Propst als Leiter vorgesetzt. Von 1169 bis 1209 leitete Propst Gerhard II. die Geschicke von Steterburg. Er war der Verfasser der für die Geschichte des niedersächsischen Raumes so wichtigen „Annales Steterburgenses“. Auch als weltlicher Herr Steterburgs vermehrte Gerhard II. den Grundbesitz beträchtlich. Das Kloster wurde zunehmend mächtiger und bedeutender, was die benachbarten Welfenherzöge veranlasste, immer stärkeren Einfluss auf das Kloster zu nehmen.

Während des 14. und 15. Jahrhunderts setzte sich der Konvent aus adligen und mehrheitlich bürgerlichen Jungfrauen zusammen, von denen viele aus der Stadt Braunschweig stammten. Domina des Stifts Steterburg war seit etwa 1515 Herzogin Elisabeth, Schwester des Landfürsten Heinrich des Jüngeren. Propst des Stifts wurde 1519 Nikolaus Decius, Komponist vieler Kirchenlieder. Aber die Blütezeit sollte nicht lange andauern. Mit dem Schmalkaldischen Krieg Mitte des 16. Jahrhunderts kommen schwere Zeiten über den Ort Steterburg. Er wird von den Braunschweigern zerstört. 1569 tritt der Konvent zur Reformation über. Der Dreißigjährige Krieg gibt Steterburg den Rest. Immer neue Plünderungen und Brandschatzungen lassen nur noch Ruinen zurück.

Erst 1691 wird das Kloster als evangelisches Damenstift langsam bescheiden wieder aufgebaut. Um 1750 bis 1752 wird die heute bestehende Kirche gebaut, die äußerlich eher auf einen Adelsitz schließen lässt als auf ein Gotteshaus. Der Innenraum offenbart sich als ein echtes Stück späten Barocks. Im Turm befinden sich noch Mauerreste des alten Turmes der Steterburg.

Die Stiftsinsassinnen betätigen sich über Jahrhunderte in selbstloser Weise. So wurde zum Beispiel ein Krankenhaus (Siechenhaus) und eine Kleinkinderstube eingerichtet. Für die Frauen des Ortes richteten sie eine Strickschule ein, in der sie Handarbeiten erlernen konnten. Die Stiftsdamen handelten aus christlichem Geist und Verantwortung. So war Steterburg eine Stätte christlicher Kultur, christlichen Wollens und Dienens. War der Stiftsadel vor 1800 noch hoch angesehen, schwand seine Bedeutung in den nächsten hundert Jahren, wie die des Adels aus staatstragender Schicht überhaupt. Von dem „blaublütigen“ Stammbaum als Voraussetzung für die Aufnahme in das Stift wurde immer mehr abgesehen.

Nach der Trennung von Kirche und Staat verlor sich langsam das Stift als geistige Einrichtung. Nach 1918 war das Stift Steterburg nur noch eine reine Versorgungsanstalt unverheirateter bedürftiger und erwerbsloser Frauen aus dem niederen Land- und Beamtenadel. 1938 wurde es durch Vertrag zwischen dem Braunschweigischen Staat und dem Kloster- und Studienfonds auf der einen sowie der Ritterschaft auf der anderen Seite aufgelöst. Alle Wohnrechte der Stiftsdamen wurden durch Zahlungen von 450000 Reichsmark abgelöst. Das Stiftskapitel zog nach Blankenburg um, wo die Ritterschaft zwei Häuser gekauft hatte. Diese Einrichtung nannte sich von da an „Stift Steterburg in Blankenburg“.

In die Wohnungen der Stiftsdamen zog das Führungspersonal der Reichswerke Hermann Göring ein, die wenige Kilometer südwestlich ein gigantisches Hüttenwerk errichteten. Im Rahmen dieses Aufbaus wurde oberhalb des Stifts auf dem Schäferberg mit dem Bau einer nationalsozialistischen Mustersiedlung begonnen. Dort wurden Arbeiter aus allen Teilen Deutschlands angesiedelt, die die Gemeinschaft Steterburgs um 7000 Menschen vergrößerten. Die gesamte Siedlung entwickelte sich aber nicht nach den Vorstellungen der Städteplaner des Dritten Reiches. Der Ort lag zu nahe bei Braunschweig, dessen historische, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung die Entfaltungsmöglichkeiten begrenzte. Daher wurde Steterburg am 1. April 1939 nach Thiede eingemeindet.

Die Stiftsdamen in Blankenburg sahen sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Zone gelegen. Beide Häuser in Blankenburg wurden 1947 enteignet. Nach der Wiedervereinigung mit der DDR finanziell entschädigt, lebt heute das Stift Steterburg als gemeinnützige Einrichtung der Ritterschaft des ehemaligen Landes Braunschweig als Körperschaft des Öffentlichen Rechts weiter. Die Stiftskirche Steterburg dient als Pfarrkirche der evangelischen Gemeinde. Die Gebäude des ehemaligen Stifts werden an Privatleute vermitet. Wer heute an einem schönen Sommertag das von Licht und Wärme durchflutete Stift und die Kirche betrachtet, kann diese große Geschichte kaum erahnen.